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Christian Blasge

Autor & Fachlehrer

Die Antiquiertheit des Menschen von Günther Anders

In den 1950er-Jahren warf der Philosoph Günther Anders die provokante Frage auf, ob der Mensch nicht mittlerweile hoffnungslos antiquiert, also überholt sei, da ihm die Technik den Rang abgelaufen habe. Diese Frage wird eingebettet in eine fundamentale Skepsis gegenüber dem „Gerät an sich“, womit Radio und Fernsehen, die sogenannte Maschinenmusik sowie Abbilder aller Art gemeint sind. In seinem Werk verfolgt Günther Anders drei zentrale Thesen: (1) Wir sind der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen; (2) wir stellen mehr her, als wir vorstellen und verantworten können; und (3) wir glauben, alles, was wir können, auch zu dürfen, zu sollen, ja sogar zu müssen. Den Fernseher bezeichnete er als ein „Erfahrungsverhinderungsgerät“ und gerade heutzutage sollte dieser Begriff uns gedanklich anregen, welche Geräte uns denn tagtäglich an echten Erfahrungen hindern. Dem modernen Menschen diagnostizierte Anders einen Sprachverlust und zur Verdeutlichung seiner These zitierte er eine Kindergeschichte, die als Metapher für das dienen soll, was vor dem technischen Gerät passiert:

Da es dem König aber wenig gefiel, daß sein Sohn, die kontrollierten
Straßen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein
Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd.
»Nun brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen«, waren seine Worte.
»Nun darfst du es nicht mehr«, war deren Sinn. »Nun kannst du es
nicht mehr«, deren Wirkung.

Überträgt man diese Pointe auf den Konsum von Rundfunk, Fernsehen und neuere Medien, wird aus dem »Nun braucht ihr nicht mehr selbst sprechen« ein »Nun könnt ihr es nicht mehr.« Die Geräte nehmen uns das Sprechen ab und uns damit unsere Sprache weg. Sie berauben uns unserer Ausdruckfähigkeit, unserer Mitteilungsfähigkeit und unserer Sprachlust. In einer komplexer werdenden Welt von Maschinen wird der Mensch darüber hinaus zunehmend von seinen Schöpfungen assimiliert. Er fungiert nicht nur als verdinglichtes Gerät neben Geräten, sondern als Gerät für Geräte. Die Folge ist für Anders das Vertauschen der Subjekte von Freiheit und Unfreiheit: Frei sind die Dinge, unfrei ist nun der Mensch.

Christian Blasge, geboren 1988 in Klagenfurt, ist als Schullehrer sowie als Fachlehrer in den Bereichen Ethik, Bewegung und Sport an der Pädagogischen Hochschule Steiermark sowie an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Im April 2021 ist sein Buch „Der Mensch als Rohstoff. Zwischen künstlicher Intelligenz und persönlicher Optimierung“ Promedia erschienen.

christian blasge (© roland marx)
Christian Blasge (© Roland Marx)

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