- Raphaela Edelbauer: Dave
Ich suche in der Literatur immer nach dem Neuen, dem überraschenden Moment. Ich will beim Lesen Ungeahntes über die Welt erfahren und auch dazulernen. Wenn das gelingt, sowohl inhaltlich als auch sprachlich, dann kann Literatur einen Sog entwickeln wie kaum eine andere Kunstform und völlig neue Gedankengänge auslösen. Zuletzt hatte ich ein solches Leseerlebnis bei Raphaela Edelbauers Roman „Dave“. Über ihr Debut „Das flüssige Land“ bin ich beim Literaturfestival O-TÖNE im MuseumsQuartier gestoßen. Es hat mich begeistert und so las ich auch ihren zweiten Roman. Mit „Dave“ wagt sich Raphaela Edelbauer an ein Thema, das aktueller nicht sein könnte, und das uns in vielen Fällen schon still und heimlich umgibt: künstliche Intelligenz. Ganz abgesehen davon, dass der Roman ein sprachliches Lesevergnügen ist, haben mich die Grundfragen beschäftigt, an denen dieses Buch rührt. Kann man so etwas wie Bewusstsein künstlich erschaffen? Was wird in Zukunft alles möglich sein und wie gehen wir damit um?
- Sharon Dodua Otoo: Adas Raum
Für mich ein Must-read des Jahres 2021. Sharon Dodua Otoo, die Bachmannpreisträgerin aus dem Jahr 2016, erschafft ein atemberaubendes Panorama indem sie die Lebensgeschichten von vier Frauen, die allesamt Ada heißen, verwebt. Das Besondere daran ist, dass alle vier Frauen in unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten leben. So wurde ich als Leser zum Zeitreisenden. Wer jetzt allerdings an Science-Fiction denkt, liegt falsch. Der Autorin geht es viel mehr darum, Frauenleben in vielen Facetten abzubilden, und viele brennende Themen zu berühren. Und das ist gut, denn oft hat es weh getan, dieses Buch zu lesen, wenn Rassismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Frauenhass thematisiert werden. Mich hat es dazu inspiriert, mich in andere Leben hineinzudenken und mir vor Augen zu halten, wie wichtig es ist, nicht wegzuschauen, sondern mit einem wachen Geist durch die Welt zu gehen.
- Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären
Für mich hat dieses Buch eine besondere Bedeutung, und das hat mit meinem Beruf zu tun. Als Direktor des MuseumsQuartier Wien versuche ich, ein Klima von Weltoffenheit und respektvollen Austausch, so gut wie möglich zu unterstützen und zu erhalten. Insofern haben mich Anne Applebaums Fragestellungen interessiert: Weshalb rutschen liberale Demokratien ins Autoritäre? Was treibt Menschen, die in Freiheit und Demokratie leben dazu, sich eine starke Hand zu wünschen? Die Analysen, die Applebaum liefert, sind klug und auch nachvollziehbar, etwa wenn sie die Radikalisierung von Weggefährten beschreibt und den Wunsch nach dem Autoritären als menschlichen Wesenszug zeichnet. Gleichzeitig zeichnet sie mit viel Weltverständnis ein Bild einer sich – unter den Einflüssen von sozialen Medien sowie wirtschaftlichen und politischen Interessen unterschiedlicher Player stark verändernden Gegenwart und bezieht soziologische, politische und psychologische Faktoren mit ein. Dieses Buch ist für mich ein Weckruf.